Georg Goldsmith lebt als alter Mann allein in seinem Haus in Arizona. Über die Vergangenheit schweigt er seit Jahren, bis ihn sein Sohn Martin damit konfrontiert und die Geschichte seiner Eltern rekonstruiert. Gunther und Rosemarie Goldschmidt waren in den dreißiger Jahren als Musiker Mitglieder des Kulturbundes Deutscher Juden, der nach Außen ein Fortbestehen des jüdischen Lebens in Deutschland vortäuschen sollte. In einem Mix aus raffiniert bearbeitetem Archivmaterial und den nachgestellten Gesprächen zwischen Vater und Sohn entwickelt der Film ein spannendes und berührendes Porträt. Während sich die Vergangenheit der Familie entfaltet, entsteht in der Gegenwart des Films eine langsame Annäherung, die Überwindung eines riesigen Grabens aus ungesagten Worten.
Martin Goldsmith ist selbst zu hören als Gesprächspartner seines Vaters, der in ,Winterreise‘ von Bruno Ganz in seiner letzten, sehr intensiven Rolle verkörpert wird. Der Film beruht auf dem Buch, das Martin Goldsmith nach den Gesprächen mit seinem Vater schrieb: „Die unauslöschliche Symphonie. Musik und Liebe im Schatten des Dritten Reiches - eine deutsch-jüdische Geschichte“.
Dazu eine Einschätzung von Wolfgang Trautwein, dem früheren Direktor des Archivs der Berliner Akademie der Künste, über den Kulturbund und zur Vorgehenensweise des Films: „Sie macht das Wirken und die problematische Ambivalenz des Kulturbunds deutscher Juden (der 1935 in Jüdischer Kulturbund umbenannt werden musste) deutlich. Durch die individuelle Sicht des Protagonisten und die dokumentarische Einbeziehung der führenden Personen – des Intendanten Kurt Singer und des Reichskulturwalters Hans Hinkel sowie des musikalischen Leiters und Dirigenten Rudolf Schwarz – wird die ganze Ambivalenz des Jüdischen Kulturbunds anschaulich. Zwar war er die einzige Arbeitsmöglichkeit jüdischer Künstler nach 1933 und ein Ort kultureller Selbstbehauptung, insgesamt jedoch ein von den Nationalsozialisten kontrolliertes Ghetto und letztlich eine tödliche Falle. (…)
Der Film „Winterreise“ stellt die Realität des Kulturbunds genau und im individuellen Erleben höchst eindringlich dar. Der Verzicht auf zugespitzte Effekte lässt die immanente Dramatik des historischen Geschehens unaufdringlich, aber unübersehbar in Erscheinung treten.“
Regie Anders Østergaard, Erzsébet Rácz (Dokumentarfilm)
Drehbuch Martin Goldsmith, Anders Østergaard
Kamera Henner Besuch, Mitja Falk, Ágnesh Pákózdi, Lars Skree
Mit Bruno Ganz, Harvey Friedman, András Bálint
DE/DK 2019, 88 Min., engl. OmU