Raum, Zeit und Identitäten überblenden sich in einer Filmwelt, in der die Menschen im kanadischen Winnipeg ganz selbstverständlich farsi sprechen.
In seinem Film kommen die Leben verschiedener Charaktere auf überraschende und rätselhafte Weise durcheinander. Negin und Nazgol sind Schüler (in Winnipeg), die einen großen persischen Geldschein finden, der in einer zugefroenen Pfütze eingesperrt ist. Massoud führt nicht weit von dort eine Gruppe zunehmend verwirrter Touristen durch die Denkmäler und „historischen“ Stätten von Winnipeg. Ein gewisser Matthew (der Vorname des Regisseurs…) kündigt seinen Job bei der Regierung von Québec und begibt sich auf eine Reise…
Mit seinem autobiografisch angehauchten zweiten Film ,Universal Language‘ mixt Matthew Rankin kanadischen Humor mit dem poetischen Realismus des iranischen Kinos zu einer der originellsten Komödien des Kinojahres.
Ein Auszug aus dem Presseheft:
Matthew Rankin interviewt Matthew Rankin
Matthew Rankin: Wie erklären Sie dieses seltsame Ding von Film, das Sie gedreht haben?
Matthew Rankin: Ich möchte die Leute ermutigen, den Film als kinematisches Venn-Diagramm zwischen Winnipeg, Teheran und Montréal zu betrachten. Es ist wie ein Zusammenfluss von Flüssen. Oder eine Hawaii-Pizza. Es ist ein verrücktes Schnabeltier von einem Film: ein Teil einsames Québécois cinéma gris, ein Teil surrealer Winnipeg-Rätselfilm, ein Teil iranisch-poetischer Realismus im Stil von Kanoon (Regie: Khatereh Khodaei, 2015) und alle Teile spiegeln sich durch das Prisma des jeweils anderen. UNIVERSAL LANGUAGE fokussiert nicht auf einen dieser Orte, sondern ist einer Mischung aller drei.
Natürlich ist das iranische Kino das Ergebnis von 1000 Jahren Poesie, während das kanadische Kino aus 40 Jahren Discount-Möbelwerbung hervorgeht. Und doch ist das die Dualität unserer Welt?
Der Film arbeitet sich durch Vorstellungen von Gemeinschaft und Einsamkeit, Nähe und Distanz, das Göttliche und das Banale, das Universelle und das Parochiale. Wir versuchen, uns zu öffnen, um an neue Sichtweisen und Vorstellungen von unserer komplizierten, traurigen, schönen und leuchtenden Welt zu gelangen.
M. R.: Wie haben Sie das gemacht?
M. R.: Ich glaube fest daran, dass Filmemachen ein kollektiver Ausdruck ist und es besonderen Spaß macht, es mit seinen Freuden zu verwirklichen.
Unser großes Ziel war es, ein lebendes, atmendes Irano-Québéco-Winnipego-eskes Gehirn zu schaffen, das seine eigenen, einzigartigen Gedanken produziert. Bei dieser Methode ist der Regisseur der Punkt der Synthese, eher wie ein Dirigent als ein großartiger Visionär mit Napoleonhut, der von der Weltherrschaft träumt. Ich habe kein Interesse an Berühmtheit, Macht oder Kontrolle. Ich mache Kunst, weil ich mich nach einer Verbindung mit anderen sehne. Der Modus ist also sehr offen. Ich denke, dass Filme besser sind, wenn alle kreativen Mitwirkenden sich frei fühlen, sich durch den Film ausdrücken können. Dann wird es eine persönliche Übung für jeden (und keine transaktionale) und Dinge erwachen zum Leben.
In unserem ursprünglichen Drehbuch sollte beispielsweise Bahram Nabatian, der die Rolle des singenden Truthahnexperten Hafez Ghamghosar spielt, am Ende nicht singen. Am Tag der Dreharbeiten kam Nabatian ans Set und schlug vor, ihn zu filmen, wie er klassische persische Poesie singt und wir sagten: „Natürlich, JA!" Ich änderte die Beleuchtung ein wenig und wir richteten uns danach, was Bahram als Wunsch geäußert hatte. Wir schalteten die Kameras an und als er bereit war, fing er an zu singen und rief „Cut", als er fertig war. Es war so schön, aber in dem Moment hatten wir eigentlich keine Ahnung, wie es in den Rest der Geschichte passen könnte. Jetzt kann ich mir unseren Film ohne Bahram Nabatians poetisches Zwischenspiel nicht mehr vorstellen. Zusammen mit der musikalischen Untermalung, die die Komponisten Amir Amiri und Christophe Lamarche-Ledoux in der Postproduktion entwickelt haben, wurde Nabatians Beschwörung von Saadis Poesie zum emotionalen Höhepunkt des Films.
Es kann viel spontane Magie entstehen, wenn du in einem offenen, freigeistigen Modus und mit Neugier auf das, was deine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter denken und fühlen, arbeitest. Wir konnten glücklicherweise auch mit einem der mutigsten und visionärsten Produzenten Québecs, Sylvain Corbeil von Metafilms, zusammenarbeiten, der sich voller Enthusiasmus hinter unsere verrückten Ideen gestellt und sie unterstützt hat.
M. R.: Wie kamen Sie auf die Story?
M. R.: Die Geschichte zu diesem Film stammt aus meinem bedeutungslosen Leben: aus meiner Familiengeschichte, zahlreichen Tagebucheinträgen aus meiner Zeit im Iran und mehreren rätselhaften Träumen von meinen Eltern, die ich kurz nach deren Tod hatte. Während der Großen Depression fanden meine Großmutter und ihr Bruder eine gefrorene Zwei-Dollar-Note auf einem Bürgersteig in Winnipeg (eine enorme Summe im Jahr 1931), und die Ereignisse entwickelten sich für sie ähnlich wie für Negin und Nazgol. Mein Vater widmete sein Leben dem Eintreten für die ungeliebte Stadt Winnipeg und ihre bescheidenen Denkmäler, ungefähr so wie Massoud im Film. Und dann gibt es natürlich noch mich und meine Verkörperung. Nachdem ich meinen ersten Spielfilm The Twentieth Century fertiggestellt hatte, war ich so hoch verschuldet, dass ich ein Jahr lang in Ottawa verbrachte und Werbefilme für die kanadische Regierung drehte. Es sind also viele komplizierte Identitätsschichten, viele Versionen des Selbst in diesem Film.
Als ich acht Jahre alt war, war ich zum Beispiel völlig besessen von dem amerikanischen Komiker Groucho Marx. Jeden Morgen, bevor ich zur Schule ging, malte ich mir mit dem Augenbrauenstift meiner Mutter einen großen Schnurrbart und Augenbrauen aufs Gesicht. Die Schulbehörde Winnipegs setzte rasch ein Heer von Kinderpsychologen ein, um mir diese seltsame Fixierung auszutreiben und ich verbrachte die meiste Zeit der dritten Klasse als Groucho verkleidet im Schrank für Schulbedarf.
Wie auch immer, die Figur des Morteza (sehr charmant vom jungen Parsa Ghahforokhi dargestellt) ist auch eine Version meiner selbst und weitere seltsame Varianten von mir sind über den Film verstreut.
Das Biopic beschäftigt mich seit langem in meiner Arbeit als Filmemacher und ich beschreibe UNIVERSAL LANGUAGE gerne als eine Art autobiografische Halluzination.
M. R.: Ich weiß, dass Sie in Winnipeg aufgewachsen sind und jetzt in Québec leben, aber wie sind der Iran und Farsi in Ihr Leben gekommen?
M. R.: Mein erster Zugang zum Iran erfolgte über sein Kino – besonders die „metarealistische“ Schule, Forugh Farokhzad, Sohrab Shahid Saless, Abbas Kiarostami, Jafar Panahi, die Makhmalbaf-Familie – sowie durch Kinderfilme, die von Kanoon in den 1970er und 80er-Jahren produziert wurden.
Als junger Mensch reiste ich in der naiven Hoffnung in den Iran, das Kino bei den großen Meistern studieren zu können. Daraus wurde nichts, aber ich habe viele tolle Menschen kennengelernt und mein Leben steht seither im Dialog mit dem Iran: durch Kunst, Freundschaften und mein kontinuierliches und sehr langsames Erlernen von Farsi.
Die Entscheidung, den Film in Farsi zu drehen, ergab sich aus der Geschichte selbst. Meine Großmutter, die als Kind versuchte, den Zwei-Dollar-Schein aus dem Eis zu holen, erinnerte mich an eine Fabel im Stil von Kanoon über Kinder, die mit den Dilemmata von Erwachsenen konfrontiert sind, und hatte sogar eine unheimliche Ähnlichkeit mit Panahis Der weiße Ballon (1995) und Kiarostamis Wo ist das Haus meines Freundes? (1987). Mein erster Einfall war also, die Geschichte meiner Großmutter im Stil des iranischen Meta-Realismus wiederzugeben. Aber erst durch die Idee, einen Schritt weiterzugehen und ihre Geschichte auf Farsi mit einer iranischen Besetzung zu erzählen, erhielt das Projekt seine poetische Identität. Alles andere ergab sich aus dieser Neuinterpretation.
Mehr als alles andere existiert dieser Film jedoch wegen Pirouz Nemati und Ila Firouzabadi – beide fungieren als ausführende Produzenten, Drehbuchautoren und Schauspieler. Sie sind brillante Künstler und zwei meiner engsten Freunde, und wir haben schon an verschiedenen Filmprojekten zusammengearbeitet. Pirouz war ein langjähriger Befürworter dieses Projekts und hat, auch in meinen schlimmsten Momenten der Selbstzweifel, darauf bestanden, dass wir es umsetzen. Vieles von dem Humor, der Poesie, der Verrücktheit und der interkulturellen Verschmelzung in UNIVERSAL LANGUAGE ist in hohem Maße Ausdruck unserer Freundschaft. Wir stehen in einem gegenseitigen Dialog: Sie durch mich mit Winnipeg und ich durch sie mit dem Iran – und gemeinsam haben wir etwas ganz Neues geschaffen.
M. R.: Ist ,Universal Language‘ ein politischer Film?
M. R.: Nein. Unser Film ist inspiriert von einer sehr großen Sehnsucht nach umfassenden menschlichen Beziehungen; nach tiefen Vorstellungen von Familie, Zugehörigkeit und Solidarität, nach viel mehr als dem, was unser zunehmend gemeines und geiziges Zeitalter uns zuweisen würde.
Quer durch das politische Spektrum bauen verrückte Ideologen und Instagram-Gurus neue, höhere und starrere Berliner Mauern und organisieren eifrig große Bevölkerungen in binäre Gegensätze. Wir lehnen diese gegensätzlichen Modi ab. Wir gehen von einer Prämisse der Grenzenlosigkeit und universellen Solidarität aus. In unserem Film geht es darum, dass „dort“ auch „hier“ ist und dass jeder um dich herum auch du bist.
Ich liebe diesen sanften Satz „Wir suchten nach uns selbst im anderen“ in Die Farbe des Granatapfels (Sergei Paradschanow, 1969), der für uns zu einer Art Stimmgabel wurde. Oder wie Pirouz Nemati einmal zu mir sagte: „Alles, was ich mir im Leben wünsche sind Liebe, Weltfrieden und ein wenig Lachen.“
M. R.: Stimmt es, dass Sie versuchen, der Hossain Sabzian (Close-Up, 1990, Regie: Abbas Kiarostami) von Winnipeg zu werden?
M. R.: [Lacht] Unser brillanter Kostümdesigner Negar Nemati hat bei der Entwicklung der „ekstatischen Fadheit“ der Kleidung meiner Figur einige Inspirationen von Sabzians komplett beigefarbenem Outfit in Kiarostamis Close-Up (1990) erhalten. Sabzian und Close-Up schweben definitiv über diesem Film. Ich teile die Skepsis dieses Films gegenüber der Möglichkeit von „Authentizität“ in der künstlichen Sprache des Kinos. Es ist immer ein Zaubertrick mit einer großen Portion Betrug, egal, wie wahr es scheint. Und Sabzians betrügerische Nachahmung des Regisseurs Mohsen Makhmalbaf ist nicht weit entfernt von meiner betrügerischen Verkörperung meiner selbst.
M. R.: Ich danke Ihnen.
M. R.: Nein, nein, ich danke IHNEN.
Regie Matthew Rankin
Drehbuch mit Pirouz Nemati, Ila Firouzabadi
Kamera Isabelle Stachtchenko
Musik Amir Amiri, Christophe Lamarche-Ledoux
Besetzung Rojina Esmaeili, Saba Vahedyousefi, Pirouz Nemati, Mani Soleymanlou, Matthew Rankin
CN 2024, 89 Min., farsi/frz.OmU, ab 6