Die Aufarbeitung bis zum Beginn des ersten Auschwitz-Prozesses im Dezember 1963 war das juristische Werk von Fritz Bauer. Der Frankfurter Generalsstaatsanwalt wollte nicht hinnehmen, dass die Nazi-Schergen im Ausland zu Hunderten verurteilt wurden, aber in der BRD niemand vor Gericht kam.
Bei den mehr als 180 Verhandlungstagenen saßen nicht wenige deutsche Schriftsteller im Publikum. Darunter auch Peter Weiss, der die „banalen“ Aussagen also selbst gehört hat … dann für sein Theaterstück aber bearbeitet und verdichtet hat – auch unter Verwendung der Protokolle des Journalisten Bernd Naumann für die FAZ. Das Besondere am seinem Stück „Die Ermittlung“ war nicht nur der Inhalt, sondern auch die Form, die vor allem die Aussagen der 357 Zeugen des Prozesses – von 9 Schauspielern dargestellt – roh und „ohne Psychologie“ auf die Bühne brachte. Die Bewertung der Prozesse wurde schon damals ganz dem Zuschauer überlassen. Die Uraufführung fand am 19. Oktober 1965 in fünfzehn Theatern gleichzeitig statt.
RP Kahl hat sich intensiv mit dem Text von Peter Weiss auseinandergesetzt. In seinem Film gibt es nur minimale Kürzungen gegenüber dem Original. In der Auseinandersetzung mit dem Text hat Kahl jedoch die Zeugen in fast 40 Personen aufgesplittet, wenn er das Gefühl hatte, dass „in Wirklichkeit“ ein neuer, anderer Zeuge zu sprechen beginnt. Hinzu kommt eine stark stilisierte Inszenierung, die Weiss’ Vorgabe umsetzt, den Gerichtssaal nicht zu „rekonstruieren“.
Aber geben wir doch RP Kahl das Wort, der weiß sehr genau, was er sagt: „Wenn man glaubt, die Dialoge des Buches seien die originalen Protokolle, dann liegt es einfach an der Kraft dieses Textes und an der Art, wie stimmig Peter Weiss die Zeugen- und Täteraussagen vor Gericht bearbeitet hat. Einerseits so, als seien sie wirklich authentisch und jeweils nur einer konkreten Person zuzuordnen, andererseits sprachlich so verdichtet, dass es im guten Sinne zeitlos wird und eine Abstraktionsebene bekommt.
Der Text von Peter Weiss mit seiner Montage und Verdichtung ist für mich das perfekte Drehbuch. Er ist schwer auszuhalten. Der Leser muss mit einer starken emotionalen Reaktion umgehen und sie wird noch stärker für den Zuschauer des Filmes sein. Trotz aller emotionaler Überwältigung macht die Dramaturgie aber eine rationale Analyse möglich von dem, was dort verhandelt wird. So kann man das systemische Versagen von Gesellschaft, das strukturelle Problem von Machtsituationen ohne Kontrolle, die negative Kraft des Opportunismus, aber auch die ganz persönliche Schuld von Einzelnen erkennen und begreifen. Die Emotion verwehrt nicht die Möglichkeit des Denkens.“
Pressestimmen
"Mit seinem durchdachten inszenatorischen Konzept trägt RP Kahl zu einem Wandel der filmischen Erinnerungskultur bei und eröffnet durch eine sachliche Darstellung des eigentlich Unfassbaren einen neuen Zugang zu diesem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte.", so die Deutsche Film- und Medienbewertung.
"Das Grauen wird sichtbar auch ohne nachgespielte Szenen. Die Bilder entstehen im Kopf, wenn die Zeugen mit der eindringlichen, kraftvollen Sprache des Theaterstücks die Grausamkeiten schildern, die sie erlebt oder beobachtet haben.", schreibt die Frankfurter Rundschau.
"RP Kahls Film ’Die Ermittlung’ nach Peter Weiss über den Auschwitz-Prozess ist eine vierstündige Zumutung, der man sich unbedingt unterziehen sollte.", findet die Frankfurter Allgemeine.
Regie RP Kahl
Drehbuch Peter Weiss
Kamera Guido Frenzel
Licht Peter Langemak
Musik Matti Gajek, Beth Gibbons
Besetzung Rainer Bock, Clemens Schick, Bernhard Schütz, Christian Kaiser, Elisabeth Duda, Nicolette Krebitz, Christiane Paul, Marek Harloff, Sabine Timoteo, Peter Lohmeyer, André Hennicke, Karl Markovics u.v.a.
DE 2023, 240 Min., dtF, ab 12